Ängstlicher Bindungstyp: Wenn der Bindungsstil glückliche Beziehungen verhindert

Wenn man mit verschiedenen Partnern immer wieder die gleichen Erfahrungen macht, liegt das vermutlich auch daran, was für einen Bindungstyp man hat. Macht man vor allem und immer wieder negative Erfahrungen? Vermeidet man schon von Beginn an Konflikte mit dem Partner? Leidet man in Beziehungen immer wieder und schon nach kurzer Zeit unter starker Verlustangst?

Dann ist man wahrscheinlich ein ängstlicher Bindungstyp und hat damit – wie etwa 50 Prozent aller Erwachsenen hierzulande – einen unsicheren Bindungsstil. Der Bindungsstil wirkt sich nicht nur in festen Partnerschaften, Liebesbeziehungen oder auf die Partnersuche aus, sondern beeinflusst alle zwischenmenschlichen Beziehungen, und das ein Leben lang.

Ob Verliebtheit oder romantische Paarbeziehung: Menschen mit einem ängstlichen Bindungsstil sehnen sich intensiv nach Nähe und persönlicher Bestätigung und sind gleichzeitig erfüllt von Angst vor Zurückweisung und Trennung. Der Bindungsstil kann sogar andere zwischenmenschliche Beziehungen, wie Freundschaften oder den Umgang mit Verwandten, Kollegen oder Fremden beeinflussen.

Wer sich selbst gut kennt und gelernt hat, auch über negative Gefühle, innere Konflikte oder schlimme Erfahrungen konstruktiv nachzudenken (und zu sprechen), hat gute Chancen, seine Bindungsangst bzw. die daraus resultierenden unerwünschten Verhaltensmuster zu überwinden. Dabei geht es nicht darum, „schlechte“ Gefühle zu unterdrücken oder sich einen anderen Bindungstyp zuzulegen, was ohnehin kaum möglich ist.

Das Ziel ist stattdessen, übertriebene oder unbegründete Angst als solche zu erkennen und auch gegensteuern zu können, damit der unsichere Bindungsstil weder bei der Suche nach Liebe noch beim Aufbau vertrauensvoller, fester Partnerschaften im Weg steht.  

Was ist der ängstliche Bindungstyp

Der ängstliche Bindungstyp nach Bowlby 

Der ängstliche - oder genauer gesagt der ängstlich-ambivalente Bindungstyp - ist einer von vier Bindungstypen, die der britische Psychoanalytiker und Kinderpsychiater John Bowlby in seiner Bindungstheorie beschreibt. Dabei handelt es sich um ein psychologisches Modell, mit dem Bowlby die Bedeutung von frühen emotionalen Bindungen für die spätere Entwicklung des Menschen erläutert.

Seinem Verständnis nach wird der individuelle Bindungsstil bereits ab den ersten Lebenstagen durch die Beziehung zwischen Säugling und Mutter bzw. Bezugsperson geprägt und durch weitere Erfahrungen als Kleinkind und Teenager verfestigt.   

Menschen mit einem ängstlichen Bindungsstil sind in einer Partnerschaft oftmals misstrauisch und dauerhaft unsicher; sie erleben also Bindungs- und Verlustängste gleichermaßen. Dazu vermeiden sie meist auch Konflikte, ziehen sich in kritischen Situationen zurück oder gehen innerlich auf Distanz.  

Bowlby definiert neben dem ängstlichen Bindungstyp noch drei weitere Bindungstypen:  

  • sicherer Bindungstyp, 
  • ängstlich-vermeidender Bindungstyp und  
  • ängstlich-desorganisierter Bindungstyp. 

Menschen mit einem sicheren Bindungsstil haben es einfacher, liebevolle, sichere Beziehungen zu anderen aufzubauen und zu erhalten. Sie sind in der Lage, anderen Menschen zu vertrauen, können Liebe ohne Angst empfinden und zulassen, ihre Bedürfnisse deutlich kommunizieren und auch Konflikte innerhalb der Partnerschaft zulassen und aushalten.  

Ein ängstlich-vermeidender Bindungstyp ist dagegen durch starke Bindungsangst, oftmals unbewusst verbunden mit Angst vor Ablehnung und Zurückweisung, gekennzeichnet. Menschen dieses Bindungstyps gelingt es oft nicht, langfristige Beziehungen aufzubauen, weil sie körperliche und emotionale Nähe nicht zulassen oder nicht lange ertragen können.  

Menschen mit einem ängstlich-desorganisierten Bindungsstil weisen ein auffallend inkonsistentes, oftmals widersprüchliches Verhalten auf. Sie haben große Probleme damit, anderen Menschen zu vertrauen, und sind emotional sehr labil. Das kann sich unter anderem in Form extremer Reaktionen auf (vermeintliche oder tatsächliche) Lügen des Partners äußern.  

Ursachen des ängstlichen Bindungstyps 

Ein Kind, das in der festen und dauerhaften Gewissheit lebt, dass die Eltern oder zumindest eine feste Bezugsperson für sie da ist, wächst mit viel weniger Angst auf als ein Kind, das diese Überzeugung nicht in sich trägt. Die Erwartungen an Bezugspersonen sind dabei immer an Erfahrungen mit genau diesen Personen geknüpft.

Kinder entwickeln die Erwartung, dass eine Bezugsperson auf ihre Bedürfnisse eingeht, weil sie in der Vergangenheit diese Erfahrung gemacht haben. Umgekehrt gilt: Wer schon früh negative Bindungserfahrungen erlebt, etwa inkonsistentes Verhalten der Mutter, Vernachlässigung oder Verlust, leitet aus diesen Erfahrungen in der Regel ab, dass es sich nicht lohnt (oder sogar schadet), zu viele oder zu hohe Erwartungen an Beziehungen zu haben. In der Folge kann sich eine unsicher vermeidende, unsicher ambivalente oder desorganisierte Bindungsqualität entwickeln.  

Typisch für Menschen, die dem ängstlichen Bindungstyp entsprechen, sind Glaubenssätze wie „Ich bin nicht genug“ oder „Ich werde (wieder) verlassen“. Diese wurden häufig in vielen Jahren oder Jahrzehnten leidvoll verinnerlicht und zu einer starken emotionalen Blockade verdichtet, die vor seelischen Verletzungen schützen soll.

Dabei sehnen sich ängstliche Bindungstypen wie alle Menschen nach emotionaler und körperlicher Nähe, Bestätigung, Anerkennung und Liebe. Nicht selten wird diese Sehnsucht sogar als besonders intensiv oder sogar qualvoll beschrieben, weil sie mit starken unangenehmen Gefühlen wie Angst, Selbstzweifel, Verwirrung oder Bitterkeit einhergeht.       

Ängstlicher Bindungstyp: Typische Verhaltensmuster 

Menschen des ängstlichen Bindungstyps binden sich oft sehr schnell an einen Partner oder eine Partnerin, erleben dabei jedoch ständig eine immanente Verlustangst. Häufig gibt es Merkmale bzw. Tendenzen einer Co-Abhängigkeit; viele Menschen mit Bindungsangst machen sich in Beziehungen emotional von anderen Personen abhängig.

Weitere Merkmale des ängstlichen Bindungstyps sind, dass Betroffene sehr empfindlich auf Kritik oder Konflikte reagieren und eine Vielzahl von Strategien entwickelt haben, um kritische Situationen möglichst zu vermeiden.  Ängstliche Bindungstypen erleben zudem eine ständige Angst vor Ablehnung, meist begleitet von einer ähnlich intensiv erlebten Angst vor Nähe.

Diese Kombination führt nicht selten dazu, dass sich Phasen von (zugelassener oder geforderter) Nähe mit Phasen der Distanzierung und des Protestes abwechseln. Derart verunsicherte Menschen brauchen und suchen ständige Bestätigung – nicht nur in ihren Partnerschaften, sondern auch im Berufsleben, in Freundschaften und anderen sozialen Beziehungen.

Sie wollen um jeden Preis positiv auf andere wirken; dafür verstecken, unterdrücken und ignorieren sie häufig die eigenen Bedürfnisse. Vielen fällt es enorm schwer, sich gegenüber anderen Menschen abzugrenzen. Sie haben Schwierigkeiten, ihre Gefühle, Erwartungen oder Wünsche zu artikulieren, und suchen ständig nach Fehlern – bei sich selbst ebenso wie beim Gegenüber.  

Wie verhält sich ein ängstlicher Bindungstyp in Beziehungen? 

Für ängstliche Bindungstypen können zwischenmenschliche Beziehungen aller Art eine Quelle von Stress darstellen, weil sie überempfindlich auf Zurückweisungen reagieren oder Probleme damit haben, Konflikte auszuhalten und zu bewältigen.

Das ist besonders kritisch, wenn sie sich an eine Person binden wollen, die einen ängstlich-vermeidenden Bindungsstil aufweist: Der ängstliche Bindungstyp erlebt vor allem in dieser Konstellation ein stetiges Auf und Ab von Zurückstecken und wütendem Aufbegehren. In langfristigen Beziehungen neigen ängstliche Bindungstypen oft dazu, Muster von Abhängigkeit zu entwickeln und sich in der Folge an den Partner oder die Partnerin zu klammern.  

Wie man einen ängstlichen Bindungstyp erkennt 

Die folgende Checkliste kann helfen, zu erkennen, ob man selbst ein ängstlicher Bindungstyp ist oder ob der Partner diesem Typus entspricht. Je mehr der folgenden Aussagen zutreffen, desto wahrscheinlicher ist es, dass man ein ängstlicher Bindungstyp ist:  

  • In der Vergangenheit haben Sie schon häufig schlechte Erfahrungen in Beziehungen gesammelt.  
  • Es fällt Ihnen aufgrund von früheren negativen Erfahrungen schwer, vertrauensvolle Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen und aufrechtzuerhalten.  
  • Es fällt Ihnen schwer, die eigenen Grenzen zu definieren und diese gegenüber einem Partner durchzusetzen. 
  • Bedürfnisse und Gefühle können Sie nur sehr schwer formulieren oder (angemessen) ausleben. 
  • Sie stellen Ihre eigenen Bedürfnisse ständig zurück, um Konflikte in der Partnerschaft zu vermeiden bzw. es Ihrem Partner recht zu machen. 
  • Wenn Sie es für erforderlich halten, opfern Sie sich für die Beziehung auf, selbst wenn es Ihnen deswegen schlecht geht oder Sie unglücklich sind.  
  • Wut und andere negative Gefühle gegenüber dem Partner unterdrücken Sie regelmäßig, um die Harmonie zu wahren und Streit zu vermeiden.  
  • Sie haben ein starkes Bedürfnis nach ständiger Aufmerksamkeit, Bestätigung und Zuwendung durch andere. Denken Sie darüber nach, schämen Sie sich für das Bedürfnis oder glauben, die Zuwendung eigentlich nicht „verdient“ zu haben.  
  • Ob Sie glücklich sind oder nicht, hängt in sehr hohem Maße von der Liebe und dem Verhalten Ihres Partners ab. 
  • Sie sind eifersüchtig.  
  • Sie haben Angst davor, in einer Beziehung die Kontrolle zu verlieren und sich abhängig zu machen. 

Bonus: Bindungstyp-Text 

Bei diesem kostenlosen Persönlichkeitstest von IDRlabs können Sie durch die Beantwortung von 36 Fragen herausfinden, welchem Bindungstypen Sie entsprechen.  

Ängstlicher Bindungstyp: Strategien zur Überwindung 

Zwar entwickeln sich Bindungstypen bereits in der frühesten Kindheit, dennoch sind wir ihnen nicht hilflos ausgeliefert. Wenn man sich selbst als ängstlichen Bindungstyp einschätzt, kann man sowohl für sich selbst als auch mit fachkundiger Unterstützung und Begleitung daran arbeiten, um sich zu einem sichereren Bindungstyp weiterzuentwickeln.   

  • Reflektieren Sie die Beziehung, die Sie als Kind zu Ihren Eltern bzw. engsten Bezugspersonen hatten. Vielleicht erkennen Sie so Verhaltensmuster, die sich bis heute in Ihren Beziehungen zeigen.  
  • Lernen Sie, besser auf sich und Ihre Bedürfnisse zu achten und sie wertzuschätzen; sie sind ein wichtiger Teil von Ihnen.  
  • Stärken Sie Ihr Selbstwertgefühl, indem Sie lernen, sich selbst anzunehmen und liebevoll zu akzeptieren. 
  • Erlernen und trainieren Sie Techniken, mit denen Sie sich in stressigen Situationen selbst beruhigen können. 
  • Setzen Sie eigene Grenzen und lernen Sie, die Grenzen des Partners zu respektieren.  
  • Arbeiten Sie an Ihren kommunikativen Fähigkeiten, um besser zuzuhören und sich selbst besser auszudrücken und mitzuteilen. Gute Kommunikation ist das A und O jeder Zwischenmenschlichkeit, gibt Sicherheit und stärkt Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen.  
  • Pflegen Sie eine liebevolle Beziehung mit sich selbst.  
  • Wählen Sie Menschen mit sicherem Bindungsstil für partnerschaftliche Beziehungen. 

Ängstlichen Bindungstyp heilen durch eine gesunde Partnerschaft  

Ein ängstlicher Bindungstyp kann in einer Beziehung mit einem sicheren Bindungstyp wachsen und alte Verhaltensmuster aufbrechen. Damit das funktionieren kann, gilt es zunächst, Vertrauen aufzubauen, immer und immer wieder. Denn die Angst, verlassen zu werden, kann nur mit viel liebevoller Zuwendung, Geduld und beidseitiger Gelassenheit verringert werden.  

Wertschätzende Kommunikation ist wichtig, damit beide Partner die emotionalen Bedürfnisse des anderen kennen und achten lernen. Dazu gehört auch das Aufstellen von Grenzen und die unbedingte Versicherung des Partners, diese zu achten. All dies gelingt besonders gut mit einem sicher-gebundenem Partner.

Professionelle Hilfe und Unterstützung 

Macht man immer wieder die gleichen negativen Erfahrungen in Beziehungen oder verfällt in Partnerschaften in bestimmte Verhaltensmuster, die man einfach nicht auflösen kann, macht es womöglich Sinn, professionelle Unterstützung hinzuzuziehen.

Dies kann in Form einer Psychotherapie, oder in Form einer Paartherapie geschehen. Selbsthilfe und Selbstvertrauen gehörten zu den wichtigsten Zielen; das gilt beim Austausch mit anderen Betroffenen ebenso wie bei Coachings, Beratungsgesprächen oder wenn Sie mit Ihrem Partner eine Paartherapie machen.

Als Heilpraktikerin für Psychotherapie und psychologische Beraterin habe ich jahrelange Erfahrung im Bereich Paartherapie und Paarberatung, auch mit Einzelberatungen für Menschen in persönlichen Krisen, emotionalen Ausnahmesituationen oder komplizierten Wachstums- und Entscheidungsprozessen.   

In einer angenehmen und sicheren Atmosphäre können wir gemeinsam daran arbeiten, die alten Muster des ängstlichen Bindungsstils zu überwinden und durch neue Denk- und Verhaltensmuster zu ersetzen. Ich unterstütze Sie dabei, entweder allein oder zusammen mit deinem Partner/deiner Partnerin.  

Seien Sie mutig – Veränderung ist möglich und lohnt sich.

Ihre

Ilona von Serényi aus der Paartherapie Aachen

Zuletzt aktualisiert: 31.01.2025