Bisexueller oder Homosexueller Partner

Was tun, wenn der Partner sich als homosexuell oder bisexuell outet?

Ob ein Mensch heterosexuell, homosexuell oder bisexuell ist, steht normalerweise schon von Geburt an fest. Die früher weit verbreitete Ansicht, man könne durch Verführung, bestimmte sexuelle Erfahrungen oder auch Traumata „schwul werden“, ist mit heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht mehr zu halten. Forscher gehen vielmehr davon aus, dass Homosexualität wie Heterosexualität eine angelegte Präferenz ist, die sich entfaltet, wenn die Zeit dazu gekommen ist.

Allerdings kommt es manchmal vor, dass Betroffene ihre sexuelle Orientierung erst spät erkennen oder akzeptieren. Da Homosexualität von der Norm abweicht, erfordert es auch heute noch viel Mut und Selbstvertrauen, dazu zu stehen und sich zu trauen, seine individuellen Bedürfnisse ohne Scham- und Schuldgefühle auszuleben. Menschen, die sehr streng, konservativ oder religiös erzogen wurden, brauchen besonders viel Kraft für ihr „Coming-out“. Nicht wenige versuchen auch, ihre homosexuellen Neigungen zu verdrängen – in der Hoffnung, vielleicht doch noch „normal“ werden und den gesellschaftlichen Konventionen entsprechen zu können.

Da Homosexuelle beiderlei Geschlechts meist schon sehr früh wissen, dass sie sich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlen, geschieht es eher selten, dass beispielsweise ein schwuler oder bisexueller Mann sexuelle Identität erst dann erkennt, wenn er bereits mit einer Frau verheiratet ist oder in einer festen Partnerschaft zusammenlebt. Wesentlich häufiger kommt es vor, dass sie eine heterosexuelle Partnerschaft trotz dieses Wissens eingehen. Die Motive hierfür sind meist sehr vielschichtig, und selten fällt diese Entscheidung leicht – besonders dann nicht, wenn sie einsam getroffen wird, also ohne Wissen und Einwilligung des (heterosexuellen) Partners.

Bisexuell, homosexuell: Wie geht es nach dem Coming-out in der Partnerschaft weiter?

Selbstverleugnung führt zu chronischen inneren Konflikten und ist daher kein stabiler Dauerzustand. Je länger die Beziehung schon unter falscher Flagge segelt, umso schwerer und umso riskanter wird es, dem Partner die Wahrheit zu sagen. Wird der Leidensdruck jedoch zu groß, ist es Zeit, endlich reinen Tisch zu machen und fortan mit offenen Karten zu spielen. Die Befreiung von den alten Illusionen und vertrauten Lebenslügen kann die Beziehung aber in eine tiefe Krise stürzen, denn sie stellt die komplette gemeinsame Geschichte samt all ihren Zukunftsperspektiven in Frage und kann das Vertrauen bis in die Grundfesten erschüttern.

In solchen Situationen stehen oft beide Partner vor dem seelischen Aus und sind mit ihrer Geduld, ihrem Verständnis und auch ihrer Kommunikation am Ende. Das Weiterführen der Beziehung scheint aussichtslos, auch wenn sich beide noch lieben. Die Trennung hingegen käme einer unverschuldeten und ungerechten Kapitulation gleich: Niemand möchte kampflos aufgeben, wenn es um das Fortbestehen oder Scheitern seines Lebenskonzepts und seiner künftigen Liebespläne geht. Das Gefühl der Überforderung und Ratlosigkeit kann so stark sein, dass es die Partner buchstäblich sprachlos und ohnmächtig macht.

Auch extreme Reaktionen sind in solchen emotionalen Notlagen nicht ungewöhnlich – etwa der überstürzte Auszug aus der gemeinsamen Wohnung, starke Aggressionen, Gewalt gegen den Partner, Flucht in Alkohol, Drogen oder Arbeit sowie Depressionen bis hin zu ernsthafter Krankheit und Suizidgedanken. Spätestens jetzt ist es angebracht, sich Hilfe von außen zu holen, um die Krise zu überstehen, die Chancen der Beziehung und die eigenen Zukunftspläne neu einzuschätzen und den inneren wie äußeren Schaden zu begrenzen.

Die psychologische Eheberatung bzw. Paartherapie helfen Betroffenen, mit schwerwiegenden und grundsätzlichen Veränderungen der Partnerschaft und der Lebensumstände umzugehen und fertigzuwerden. Ob die Partner letztlich einen neuen gemeinsamen Weg finden oder sich zur Trennung entschließen, ist dabei von den individuellen Gegebenheiten abhängig. Hauptthema der Paartherapie oder auch der Einzelgespräche ist dabei stets das Erarbeiten einer für beide annehmbaren und lebbaren Lösung. Das Vorbringen von möglichen Gründen, Rechtfertigungen oder gar  Schuldzuweisungen für die sexuelle (Neu-)Orientierung bleibt dagegen meist im Hintergrund, da es keine Veränderung der Situation verspricht und den gefühlten Teufelskreis in der Regel nur weiter verstärkt, anstatt ihn zu durchbrechen.

Kann der Partner in der Ehe, Partnerschaft oder Beziehung plötzlich schwul oder bisexuell werden?

Nur in Ausnahmefällen passiert es, dass jemand, der sich bis dahin als ausschließlich heterosexuell wahrgenommen hat, im Verlauf der Partnerschaft oder Ehe seine stärkere Neigung zum eigenen Geschlecht erkennt. Viele betroffene Frauen erzählen, dass sie dieses sogenannte innere Coming-out erst nach der Geburt ihrer Kinder erlebt haben. In der Psychiatrie ist von einer sexuellen Reifungskrise die Rede, wenn sich die sexuelle Präferenz eines Menschen noch einmal ändert, nachdem sie bereits ausgeprägt und stabil erschien. Vielfach geht diese Krise, von der meist junge Menschen betroffen sind, mit Angst, starken Stimmungsschwankungen oder Depressionen einher.

Menschen, die zur Ehetherapie oder Paarberatung kommen, nachdem der Partner oder die Partnerin gleichgeschlechtliche oder bisexuelle Neigungen gestanden hat, geben manchmal sich selbst die Schuld dafür. So können sie etwa fürchten, für den Partner sexuell nicht attraktiv genug gewesen zu sein oder seine Bedürfnisse nicht befriedigt zu haben. Damit haben sie natürlich Recht, wenn der Partner kein oder nur ein schwaches bzw. seltenes Bedürfnis nach heterosexuellem Geschlechtsverkehr hat. Dennoch ist es nicht ihre Schuld, dass er oder sie homosexuell oder bi (geworden) ist.

Selbstquälerisches Denken oder Handeln helfen keinem von beiden weiter. Es gilt stattdessen, so viel Verständnis aufzubringen wie möglich, um sich mit den Tatsachen so weit als möglich zu versöhnen und aus der neuen Situation das Beste zu machen. Für ein Paar kann das einen schnellen Schlussstrich bedeuten, für ein anderes die gütliche und geordnete Trennung und für ein drittes das gemeinsame Aufarbeiten der Vergangenheit und das Weiterführen der Beziehung unter anderen Voraussetzungen.  

Die einvernehmliche gemischtorientierte Ehe und Lebenspartnerschaft

Eine Beziehung, in der ein Partner heterosexuell ist und der andere homosexuall oder bisexuell, wird auch als gemischtorientierte Partnerschaft bzw. Ehe bezeichnet. Dieser Begriff kommt aus dem Englischen und übersetzt die Bezeichnung „mixed-orientation marriage“, die vor allem für Verbindungen zwischen einer heterosexuellen Frau und einem homosexuellen bzw. bisexuellen Mann gebräuchlich ist.

Gemischtorientierte Ehen bzw. Partnerschaften werden häufig bewusst und einvernehmlich eingegangen – und können unter diesen Voraussetzungen auch sehr gut und dauerhaft funktionieren. Der Entscheidung können verschiedene Motive zugrunde liegen:

  • Es gibt immer noch Berufsumfelder, in denen die Aufstiegs- und Karrierechancen für Homosexuelle und Bisexuelle stark eingeschränkt sind. Das kann Menschen dazu bewegen, ihre sexuelle Identität zu verschleiern.
  • Manche Ehen werden geschlossen, um dem Partner eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis im eigenen Land zu sichern.
  • Laut Studien fühlen sich viele heterosexuelle Frauen stark zu homosexuellen Männern hingezogen, da sie diese als offener, kommunikativer und freier vom männertypischen, viele Frauen belastenden Wertungs- und Konkurrenzdenken empfinden. Diese Anziehung kann durchaus in einer Liebesheirat münden – unabhängig von den sexuellen Vorlieben.
  • Einige Homosexuelle gehen heterosexuelle Partnerschaften bzw. Ehen aus Gründen der spirituellen Identität ein. So möchten sie etwa trotz ihrer gleichgeschlechtlichen Neigung einer Frau ein guter Ehemann oder ihren Kindern ein legitimer Vater sein.
  • Wie schon eingangs erwähnt, erhoffen sich manche Homo- oder Bisexuelle durch das Eingehen einer heterosexuellen Partnerschaft und die intensive Bindung an eine Frau die Befreiung von ihren sexuellen Wünschen Bedürfnissen, die sie als erschreckend oder inakzeptabel erleben. Diese Rechnung geht in der Regel nicht auf, obgleich auch eine solche Beziehung glücklich sein kann, wenn beide über die besonderen Bedingungen Bescheid wissen und damit einverstanden sind.
  • Nicht zuletzt kommt es vor, dass ein schwuler Mann und eine lesbische Frau bewusst und freiwillig heiraten, um in einem geordneten, sicheren und stattlich anerkannten Umfeld unbehelligt zu leben und ihre Pläne verwirklichen zu können. Wenn Vertrauen, Anerkennung und Freundschaft die Basis der Ehe bilden und jeder frei zur Selbstverwirklichung bleibt, steht auch hier einem dauerhaften gemeinsamen Glück nichts im Wege.

Mögliche Konflikte des bisexuellen oder homosexuellen Partners in der Beziehung

Gute Kommunikation, Offenheit und Ehrlichkeit sind die Grundbedingungen jeder glücklichen und tragfähigen Partnerschaft. Dennoch gibt es Beziehungen, die jahrelang harmonisch verlaufen, obwohl einer der Partner über die sexuellen Vorlieben des anderen falsch informiert ist. Manche Menschen gehen äußerst kreativ und auch feinfühlig dabei vor, sich ein Doppelleben aufzubauen, in dem sie ihre vielschichtigen Bedürfnisse ausleben können. Allerdings wird auch ein gut organisiertes und befriedigendes Doppelleben auf Dauer anstrengend und kann zunehmend zu Gewissenskonflikten führen – vor allem, wenn die Beziehung zum heterosexuellen Partner von echter Zuneigung, Liebe und Respekt geprägt ist.

Wer für ein Doppelleben nicht geschaffen, aber zum Outing nicht oder noch nicht bereit ist, läuft Gefahr, an dieser Zerrissenheit krank zu werden. Familienvätern haben oft die größte Angst davor, durch das Coming-out nicht nur ihre vertraute Partnerin, sondern auch ihre Kinder zu verlieren – es ist nach wie vor häufiger, dass das Sorgerecht nach einer Trennung oder Scheidung der Frau übertragen wird und dem Vater nur noch das gelegentliche Besuchsrecht bleibt.

Mögliche Konflikte des heterosexuellen Partners und Konsequenzen für die Partnerschaft

Vor allem heterosexuelle Ehefrauen bzw. Partnerinnen neigen dazu, die homosexuellen Neigungen ihrer Männer zu unterschätzen oder zu verdrängen. Viele leben jahrelang mit einer vagen Ahnung – und fallen nach dem Coming-out des Partners trotzdem aus allen Wolken. Zu dem Gefühl, belogen und hintergangen worden zu sein oder als Frau versagt zu haben, können sich Scham, Wut und starke Verlustängste gesellen. Dazu kommt in Familien noch die Frage, wie die Kinder mit der neuen Situation zurechtkommen sollen und wer sie auf welche Weise darüber informieren soll.

Oft bestehen bereits vor dem Coming-out des homo- oder bisexuellen Lebenspartners sexuelle Konflikte, die die Beziehung belasten. So können verwirrende, unfaire oder verletzende Scheingründe für die sexuelle Unlust oder Verweigerung vorgebracht werden. Vielfach leidet der heterosexuelle Partner unter mangelnder sexueller Aufmerksamkeit und Erfüllung und empfindet immer stärker, dass er von wesentlichen Teilen des Sex- und Gefühlslebens oder der Freizeitgestaltung des Partners ausgeschlossen bleibt. Solche Indifferenzen gehen Frauen und Männern gleichermaßen an die Substanz, da sie das Selbstvertrauen schwächen und die in der Partnerschaft notwendige Atmosphäre der Sicherheit und Geborgenheit verhindern.

In den meisten Lebenspartnerschaften und Ehen führt das Coming-out des bisexuellen oder homosexuellen Partners zu Konflikten, die mit denen nach dem Eingeständnis eines Seitensprungs oder dauerhafter Untreue vergleichbar sind. Als schwersten Schlag erleben Betroffene dabei meist nicht die Homosexualität des Partners, sondern den Verlust des Vertrauens und des bisherigen Lebensmittelpunkts. Nachdem feststeht, dass der Partner nicht war, was er zu sein schien, geraten auch die eigene Welt und die eigenen Werte ins Wanken. Oft erscheint die Flucht bzw. Trennung als einziger Ausweg, um sich nicht komplett verlassen und ins Abseits gedrängt zu fühlen.

Nicht wenige verlassen nach dem Coming-out des Partners die Beziehung oder möchten die Scheidung, um wenigstens für sich selbst noch etwas zu retten oder möglichst schnell frei zu werden für eine neue Liebe unter günstigeren Bedingungen. Andere bleiben dem Partner jedoch auch treu – weil sie nicht allein sein möchten, weil materielle Abhängigkeiten die Trennung erschweren oder weil sie sich einem Neubeginn innerlich nicht gewachsen fühlen. In einigen Fällen entschließen sich die Partner auch zur Rettung der Beziehung, weil sie fühlen, dass ihre Liebe zueinander nach wie vor größer ist als alle Probleme – und dass diese Liebe ihnen helfen wird, auch diese Krise gemeinsam zu überwinden.