Fexting in der Beziehung – Streiten in Zeiten von WhatsApp und Co.

Der Begriff Fexting ist ein zusammengesetztes Wort; es enthält die beiden englischen Wörter Fighting und Texting und bedeutet das Streiten per WhatsApp bzw. via Textnachrichten. Manchmal wird Fexting auch als Streiten per Smartphone oder Streit am Handy bezeichnet. Das ist allerdings ein wenig irreführend, weil der Streicher eben nicht am Telefon (also per „Live-Stimmübertragung“) geführt wird, sondern in Form eines Chats, in dem Sprach- oder Textnachrichten abwechselnd hin- und her geschickt werden.

Streiten am Telefon – ein alter Hut

Das Streiten per WhatsApp, Textnachricht oder im Chat ist noch weniger empfehlenswert als das Streiten am Telefon, von dem in vielen Fällen schon die Eltern oder Großeltern gewarnt haben. Schon bei einem klassischen Telefonstreit gibt es nämlich verschiedene unfaire Möglichkeiten, die Gesprächspartner nicht haben, wenn Sie sich etwa an einem Tisch gegenübersitzen. So kann die Technik – nämlich das Telefon – auch wunderbar als Waffe verwendet werden, etwa indem man unvermittelt auflegt und damit seiner Gesprächspartnerin oder seinem Gesprächspartner wirksam das Wort entzieht (oder mitten im Satz abschneidet). Daraus ergeben sich dann etwa Situationen, in denen man zum Beispiel:

  • überlegen muss, ob man selbst oder der/die andere jetzt in der Pflicht steht, sofort erneut anzurufen,
  • ohnmächtig vor Wut das Telefon anstarrt, während man innerlich sinnlose Schwüre leistet und deren Erfüllung an höchst individuelle Bedingungen knüpft,
  • ein neues Telefonat sehr versöhnlich beginnt, dann aber feststellen muss, dass der Streit sich allein am Telefonverhalten sofort neu entzündet und erneut eskaliert.

Diese Liste ließe sich beliebig fortführen; als moderne Druckmittel oder „Strafen“ kann natürlich auch der Kontakt blockiert, das Telefon ausgeschaltet, der Gesprächspartner dauerhaft aus der Liste entfernt oder das eigene Profil provokativ auf unsichtbar oder offline gestellt werden.

Warum Fexting, WhatsApp-Streit und Co. noch unvernünftiger sind als Streiten am Telefon

Was Sie per WhatsApp bzw. Textnachricht Ihrem Gegenüber auf den Bildschirm schicken, lässt sich danach nicht unsichtbar machen oder mit weiteren Worten wirksam entkräften wie zum Beispiel ein „herausgerutschtes“ Schimpfwort am Telefon. Die Botschaft steht weiterhin da, deutlich lesbar, unleugbar, fast wie in Stein gemeißelt – und bekommt dadurch immer mehr ein vollkommen unangemessenes Gewicht.

Gerade in Streitsituationen, wenn die Teilnehmer emotional aufgeheizt sind und auch schnell mal etwas Unbedachtes sagen, geht routinierten Smartphone-Nutzern die getippte Botschaft oft ebenso schnell von der Hand. Handelt es sich um eine Dummheit oder grobe Nachlässigkeit, etwas, das man „so doch gar nicht gemeint“ hat oder sogar „eigentlich nie sagen würde“, ist die Bedeutung, die eine getippte Äußerung nur aufgrund ihrer Form bekommt, geradezu lächerlich überhöht.

Die einzige Möglichkeit, unbedachte Äußerungen sicher zu vermeiden, wäre jedoch, seine Gefühle derart herunterzuschrauben und beim Texten emotional nur noch auf allerkleinster Sparflamme zu kochen, dass man auf die Auseinandersetzung in diesem Moment auch gleich ganz verzichten könnte. Denn gerade, wenn es uns wirklich ernst ist, wenn es um etwas geht, das uns wichtig ist, sollten wir nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit dem Herz und allen Gefühlen dabei sein – ganzheitlich voll engagiert, wie es sich bei guten Diskussionen und Streits zwischen zwei sich liebenden Menschen gehört

Wenn Ihnen Ihr Partner bzw. Ihre Partnerin wirklich am Herzen liegt, wenn dieser Mensch Sie unbedingt ernstnehmen sollte und Sie auch von ihm bzw. ihr ernstgenommen und respektiert werden möchten, sollten Sie Konfliktgespräche, Streits, längst fällige Debatten und selbst Alltagsrangeleien möglichst in Bestform führen. Nicht nur, um zu „gewinnen“ oder einen für sie günstigen Kompromiss herausholen, sondern auch, weil Sie sich gegenüber Ihren Lieblingsmenschen höchstwahrscheinlich auch beim Streiten von einer möglichst guten, also respektablen, empathischen und kompetenten Seite zeigen möchten.

Schnelles Texting im Affekt vermeiden

„Digital Natives“ und alle routinierten Smartphone-Texter, die ebenso schnell tippen können, wie sie sprechen (oder denken), sollten, wenn sie richtig wütend, akut verletzt oder sonst wie in heller Aufregung sind, lieber die Finger vom Bildschirm oder den Tasten lassen. Sogar das altmodische Telefonieren ist in diesem Fall günstiger als den Streit per WhatsApp o. Ä. auszutragen.

Wenn Ihnen am Telefon etwas „rausrutscht“, klingt es vielleicht im Eifer des Gefechts gar nicht so lange nach; oft lassen sich vorschnelle Äußerungen mit einer ehrlich gemeinten, unmittelbar folgenden Entschuldigung sogar ziemlich gut „übertönen“. Noch besser ist es jedoch, wenn Sie es schaffen, mit dem Streiten noch so lange zu warten, bis Sie sich wieder von Angesicht zu Angesicht begegnen. Vielleicht haben sich die Nerven bis dahin sogar schon ein wenig beruhigt, und der schlimmste Zorn ist verflogen; das Adrenalin, das den Körper überflutet, wenn die Gefühle hochkochen, hält sich nicht besonders lange, und wenn es abgebaut wird, schalten sich schnell wieder versöhnlichere Gefühle, Vernunft und Kompromissbereitschaft ein.

Was kennzeichnet eigentlich eine gute Streitkultur?

Fexting oder Streiten per WhatsApp ist kein gutes Instrument der Streitkultur, da es die ganze Palette der nutzlosen Eskalation bei Liveübertragungen mit dem unangemessenen Schwergewicht der geschriebenen Nachricht verbindet. Hier ist ein Gedankenspiel, um das Missverhältnis darzustellen und zu relativieren:

Stellen Sie sich vor, Sie müssten Fexting auf althergebrachte Art per Briefpost betreiben. Würden Sie sich die Mühe machen, ein Blatt Papier mit einer Botschaft wie „F*** dich ins Knie“ zu beschreiben, dann das Blatt zu falten, in einen Umschlag zu stecken, mit einer Briefmarke zu frankieren und dann zur nächsten Postfiliale zu bringen oder in den nächsten Briefkasten werfen? Könnten Sie anschließend ruhig nach Hause gehen und mehrere Tage auf den Antwortbrief warten? Und mit welchen Gefühlen würden Sie wohl später einen Stapel aus hunderten Briefen betrachten, von denen jeder höchstens 3 Zeilen Text enthält?

Beim Fexting hat jeder der textenden Streitpartner zu allem Überfluss die Möglichkeit, jede noch so unüberlegte, unangemessene, unfreiwillig komische, falsch getippte, pathetische oder einfach nur völlig übertriebene Nachricht oder Reaktion zu archivieren wie einen Stapel Briefe – und damit eine Sammlung anzulegen, die weder dem Sender noch dem Empfänger zur Ehre gereichen kann.

Ein wesentliches Merkmal guter Streitkultur ist, dass das Paar sich auf eine Streitform einigt, in der beide gleichermaßen ihre Wünsche und Bedürfnisse, Argumente oder Ansichten zum Ausdruck bringen können. Das geht am besten bei einem persönlichen Gespräch, bei dem sich beide maximal Mühe geben, zuzuhören, den anderen ausreden zu lassen und möglichst nicht alles gleich auf negative Weise persönlich zu nehmen (zuhören und gehört werden). Diese Grundregeln reichen meist schon aus, dass der Streit nicht so eskaliert, dass er unterm Strich fruchtlos endet und später wiederholt werden muss, weil der Konflikt nicht geklärt werden konnte.

Nicht zu viel zu verlangen ist ebenfalls ein wesentlicher Bestandteil einer guten Streitkultur. Gerade in langjährigen Beziehungen ist es oft nötig, sich auf einen Kompromiss zu einigen. Ein guter Kompromiss ist daran zu erkennen, dass alle Parteien damit leben können, keine aber vollkommen glücklich und befriedigt wird. Ist eine Partei mit dem Ausgang des Streits dagegen vollkommen zufrieden, heißt das, dass diese Person ihren Kopf durchgesetzt hat, was in der Regel zulasten des anderen Beteiligten geht. Findet einer der Streitenden seine Interessen dauerhaft nicht angemessen gewürdigt, wird die Neuauflage des Streits meist zu einem festen Programmpunkt in der Beziehung.

Auch das kann jedoch auch normal und Teil einer guten und fruchtbaren Streitkultur sein: Bestimmte Konflikte, die sich einfach nicht lösen lassen, die jedoch auch nicht bedrohlich für die Liebe oder die Beziehung sind, können wie eine Art „Running Gag“ immer wieder neu aufgelegt werden. So braucht keiner der Partner das Gefühl zu entwickeln, dass es dem anderen mit der Zeit egal wird oder Dinge, die man früher gemeinsam lustig fand, lautlos abgesetzt werden wie zu wenig beachtete, im Kern jedoch kluge, tiefsinnige oder unterhaltsame Serien. Denn – und das ist überhaupt der wichtigste Punkt von allen – nichts hilft beim Streiten und überhaupt in der Liebe und Partnerschaft so sehr wie gemeinsamer Humor.

Dass das nicht bedeutet, einander auszulachen, sondern vielmehr, einzeln und auch gemeinsam über sich selbst immer wieder auch herzlich lachen zu können, wissen nicht nur Psychologen und Eheberater, sondern alle Paare, die seit Jahren miteinander glücklich sind, obwohl es in der Beziehung regelmäßig „kracht“ und nicht alles reibungslos, ohne Konflikte oder Streit, vor sich hinläuft.

In meiner Praxis Paarberaterin und Paartherapeutin erlebe ich häufig, wie wichtig gute Kommunikation und Streitkultur zur Klärung alltäglicher, aber auch langjähriger und tiefsitzender Konflikte in Partnerschaften ist. Paare, die sich lieben und respektieren, können in nahezu allen Fällen vom geschützten Raum und der sicheren Atmosphäre während einer Gesprächstherapie oder Paartherapie profitieren – etwa um eine konstruktivere oder weniger erschöpfende Streitkultur zu entwickeln, die sich dann auch in den Alltag hinübertragen und dort fortsetzen lässt.

Dabei ist es allerdings sehr wichtig, dass eine Gesprächs- oder Streitkultur dem Paar nicht (zum Beispiel durch die Therapeutin) oktroyiert wird. Hier treten Paartherapeuten stattdessen oft vorrangig als Begleitung auf, die vermittelt oder interveniert, wenn es nötig ist, vor allem jedoch den Raum schafft, den die Partner brauchen, um ihre eigenen Lösungswege zu entwickeln

Fexting: Hinweise aus der Praxis

Dennoch gibt es einige konkrete Ratschläge, die auch ich meinen Klienten immer wieder gebe und die nahezu immer gültig sind:

  • Fexting oder Streiten per WhatsApp ist keine gute Idee und auch keine gute Notlösung. Wartet lieber, bis ihr auch körperlich wieder zusammen bzw. im selben Raum seid, und redet miteinander, statt euch anzuschreien, zuzutexten oder grimmig anzuschweigen.
  • Ihr seid einfach keine Heiligen, habt deswegen trotz aller vernünftigen Vorsätze auf WhatsApp bzw. per Textnachricht gestritten und fühlt euch deswegen jetzt schlecht? Das gemeinsame Löschen des Gesprächsverlaufs, der am besten gar nicht erst entstanden wäre, ist oft der erste Schritt zur Besserung.

Viele Paare glauben, dass sich Fexting in ihrer Beziehung gar nicht vermeiden ließe. Gründe dafür können sein, dass man sich unter der Woche oft stundenlang nicht sieht, dass eine(r) oder beide Partner mehrere Tage unterwegs sind oder das Paar generell eine Fernbeziehung führt. In vielen Beziehungen sind beide ohnehin daran gewöhnt, permanent Textnachrichten auszutauschen, auch mit positiven Botschaften, Liebesbekundungen, freundlichen Nachrichten, Emojis oder kleinen „Situations-Updates“, mit denen der Lieblingsmensch über den Tag verteilt darüber informiert wird, was man gerade tut und was sonst so passiert ist.

Doch selbst, wenn die alltägliche Gesprächskultur im Wesentlichen auf Textnachrichten basiert, ist das Streiten per WhatsApp oder über den bevorzugten Messenger keine gute Idee. Es ist schöner, Erinnerungen an gute Zeiten und Gespräche im Archiv zu haben, und schadet nicht wirklich, wenn kein Fexting-Mitschnitt die Gesprächsbiografie trübt. Muss ein Streit unbedingt jetzt geführt werden, und es besteht keine Möglichkeit, sich dazu persönlich zu treffen, ist das gute, alte Telefon dem Streit per WhatsApp bzw. Fexting immer noch jederzeit vorzuziehen.

Ihre
Ilona von Serényi, Aachen-Oberforstbach

Zurück zur Themenübersicht

Ilona von Serényi - Paartherapie & Eheberatung
Pascalstraße 15, 52076 Aachen (Oberforstbach)
Telefon: 02408-59 80 859