Vom richtigen Umgang mit Kritik in der Partnerschaft

Kein Mensch ist perfekt, auch nicht der geliebteste – das weiß jeder. Trotzdem macht es grundsätzlich wenig Freude, auf seine Fehler, Schwächen oder Verfehlungen hingewiesen zu werden. Kritik nicht abzulehnen und auch nicht einfach über sich ergehen zu lassen, sondern sie ernst zu nehmen, ihr zu glauben und daran zu wachsen: Das ist eine Kunst, die dem Menschen nicht angeboren ist. Sie zu erlernen erfordert viel Selbstvertrauen und Engagement – und wie jeder Lernprozess muss auch dieser von Erfolgserlebnissen begleitet sein, damit er sich für den Lernenden lohnt.

Wenn vom Umgang mit Kritik in der Ehe oder Lebenspartnerschaft die Rede ist, geht es natürlich nicht nur um das Annehmen und Umsetzen von berechtigter Kritik. Auch für den kritisierenden Partner gibt es Regeln, die die Sache für beide einfacher machen. Diese Regeln zu kennen, bedeutet allerdings noch lange nicht, dass sie auch immer befolgt werden. Der Mensch ist nicht logisch, und bei Konflikten mit dem Partner oder in der Familie reagieren wir oft emotional und wenig sachlich.

So kann es geschehen, dass selbst freundlich vorgebrachte oder berechtigte Kritik als verletzend, unfair oder demütigend empfunden wird. Umgekehrt neigen Paare mit ungelösten Beziehungsproblemen dazu, Kritik als Waffe einzusetzen. Das ist auf vielerlei Weise möglich – vor allem, wenn sich beide schon gut und lange kennen. Zu den häufigsten Generalfehlern, die auch immer wieder in der Eheberatung oder Paartherapie angesprochen werden, gehören die im Folgenden aufgeführten Verhaltensweisen:

Häufige Fehler um Umgang mit Kritik in Partnerschaft und Ehe

1.  Das Ansammeln und Nachtragen von Kritik

Hier müssen vor allem Frauen aufpassen, denn sie neigen eher als Männer dazu, im Kopf Listen zu führen. Darauf werden sowohl einzelne als auch immer wiederkehrende Kritikpunkte gesammelt und sortiert, und wenn die Liste eine gewisse Länge erreicht hat, wird der Partner mit allen Punkten auf einmal konfrontiert. Oft genügt ein kleiner Anlass, um das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen zu bringen – doch wenn der Partner nur den kleinen Anlass wahrgenommen und ein solches Fass voller Kritik gar nicht erwartet hat, wird er darauf eher mit Ablehnung, Trotz oder Flucht reagieren.

Im schlimmsten Fall kommt das unerwünschte Verhalten dann auch noch auf eine entsprechende Liste, und der missglückte Klärungsversuch macht unterm Strich die Sammlung umfangreicher, statt auch nur eines der angesammelten Beziehungsprobleme zu lösen.

2.  Das Aussitzen von Kritik

Dass Frauen grundsätzlich mehr reden als Männer, ist wissenschaftlich nicht bewiesen. Doch jeder Eheberater oder Partnertherapeut weiß aus Erfahrung, dass Männer in der Regel einen längeren Atem haben, wenn es darum geht, Partnerschaftsprobleme und leidige Kritikpunkte auszusitzen. Männer wollen keinen Stress in der Beziehung und fühlen sich oft überfordert vom größeren Gesprächs- und Klärungsbedarf der Partnerin. Schnell geraten sie unter Leistungsdruck, fühlen sich bedrängt und sehen gleich dann ihren ganzen Wert als Ehemann, Partner, Geliebter oder Familienvater auf dem Prüfstand.

Um dem Stress zu entkommen, entwickeln vor allem Männer oft mehr Engagement und Fantasie, als nötig wäre, um die Beziehungsprobleme zu lösen oder sich zumindest mit dem aktuellen Kritikpunkt auseinanderzusetzen. Manche ziehen sich in trotziges oder unglückliches Schweigen zurück, andere stürzen sich in die Arbeit oder andere Verpflichtungen außer Haus. Oft wird auch versucht, die Kritik zu verharmlosen: Das ist nur eine fixe Idee, ein schlechter Tag, eine vorübergehende Phase, die sich bald von selbst erledigt haben wird. Dabei werden der Stress und das zunehmende Gefühl der Ohnmacht, das eine solche Abwertung bei der Partnerin hervorruft, häufig übersehen.

Natürlich wünscht sich jeder gestresste Mensch, ob Mann oder Frau, dass der Stress möglichst schnell und mit möglichst wenig Mühe und Kollateralschaden vorbeigehen möge. Doch Strategien zum Aussitzen, Verdrängen und Umgehen von Kritik können höchstens kurzfristige und oberflächliche Erfolge bringen. Langfristig ist dieses Verhalten für eine Ehe oder Partnerschaft äußerst gefährlich, denn es signalisiert Desinteresse, Gleichgültigkeit, Egoismus und einen Mangel an Respekt. Wer sich der Kritik des Partners entzieht oder ihre Bedeutung unterschätzt, entzieht sich damit auch dem Partner und der Beziehung – und riskiert durch seine Verweigerungshaltung, den Anschluss zum wichtigsten Menschen in seinem Leben zu verlieren.

Wenn der Partner erst einmal resigniert und zur Überzeugung gelangt, seine Meinung werde weder gewünscht noch gehört oder verstanden, ist die Kommunikation an einem bedenklichen Tiefpunkt angelangt. Denn ungelöste Konflikte lassen sich nicht totschweigen – aber Beziehungen schon. Hat ein Paar verlernt, vertrauensvoll und angstfrei miteinander zu reden , bedarf es oft der Hilfe eines Eheberaters oder der geschützten Atmosphäre einer Partnertherapie, um die Beziehungsprobleme zu lösen oder die Ehe zu retten.

3.  Retourkutschen und Kritik am Kritiker

Längst nicht jede Kritik ist sachlich fundiert, gründlich durchdacht, angemessen formuliert und dann auch noch zum richtigen Zeitpunkt vorgebracht. Das bedeutet, dass die kritisierte Person fast immer gute Chancen hat, die eigentlichen Kritikpunkte durch Kritik am Kritiker oder an der Art der Kritik abzuschwächen oder zumindest davon abzulenken. Allerdings ist es kein Fortschritt, wenn dieses Unterfangen gelingt, und es wird auch zu keiner befriedigenden Einigung führen.

Wie schon erwähnt, fällt es oft sehr schwer, Kritik nicht als Angriff oder Herabsetzung zu empfinden. Darum gerät auch der Bezug hier oft aus den Augen oder aus den Fugen. So kann ein simpler, leicht nachzuvollziehender und auch leicht zu bereinigender Kritikpunkt, zum Beispiel ein herumliegendes Paar dreckiger Socken, schnell zu einer Debatte darüber ausarten, wer öfter seine Socken herumliegen lässt, wer unterm Strich das meiste im Haushalt macht oder wer generell die schlechteren Manieren hat. Wie absurd und oft auch komisch solche Auseinandersetzungen sind, fällt den Betroffenen meist erst hinterher auf.

Retourkutschen, Grundsatzdebatten und allgemein das Verheddern und Ausufern von Bezügen sind für alle Beteiligten sowohl geistig als auch emotional sehr anstrengend und erschöpfend. Kritik abwehren oder den Kritiker dafür bestrafen zu wollen, ist menschlich, aber weder konstruktiv noch ein Reifezeugnis. Das eigentliche Problem zu beheben – in diesem Fall also einfach die herumliegenden Socken wegzuräumen – ist hingegen eine Lösung, die dem Problem angemessen ist, ohne es abzuwerten oder unnötig zu verkomplizieren. Daher ist sie nahezu immer leichter, weniger schmerzhaft und auch vom praktischen Ergebnis her viel besser.

Was aber, wenn die herumliegenden Socken nur ein Symptom sind und das eigentliche Problem zum Beispiel darin besteht, dass ein Partner nicht einverstanden mit der Aufgabenteilung im Haushalt ist oder das Gefühl hat, der andere lasse sich zu sehr gehen? Dann sollten sich beide erst recht nicht zu lange und zu oft an den Symptomen aufreiben. Denn dadurch wachsen lediglich Misstrauen, Selbstzweifel, Überdruss und die Angst vor stressigen und unfruchtbaren Debatten. Mit einer negativen Gefühlsbasis lassen sich allerdings noch nicht einmal mehr kleine, geschweige denn größere Beziehungsprobleme lösen.

Mit dem Glauben an die konstruktiven Wirkungen der Kritik verhält es sich ebenso wie mit dem an die Kraft des Lobes: Er lässt immer weiter nach, wenn er kein Betätigungsfeld hat, keine Bestätigung findet und keine Früchte trägt, an denen man sich zusammen erfreuen kann. Seine erste Bestätigung findet er darin, dass die Kritik grundsätzlich gehört und ernst genommen wird – ohne Bedingungen, Einschränkungen, Ablenkungen, Retourkutschen oder die Angst vor einem bösen Nachspiel. Einer Kritik zu glauben bedeutet dabei nicht, die eigenen Bedürfnisse oder Eigenschaften zu verleugnen oder dem Kritiker in allen Punkten Recht zu geben. Es bedeutet vor allem die Bereitschaft, sich selbst aus mehr als einer Perspektive zu sehen und die Eigenwahrnehmung nicht grundsätzlich über die Fremdwahrnehmung bzw. Außenwirkung zu stellen. Nur, wer einer Kritik auch einfach mal glauben kann, bekommt die Gelegenheit, daraus Schlüsse zu ziehen, die sich für seine Entwicklung nachhaltig lohnen.

 4.  Lieblose und respektlose Kritik

Kritik in der Beziehung soll nicht nur toleriert, sondern gewünscht und auch aktiv gesucht werden. Dazu gehören jedoch Vertrauen, Neugier, Respekt vor dem anderen und die Überzeugung, dass die Beziehung beiden Partnern dabei hilft, zu sein und zu werden, was sie sein und werden wollen. Ist diese Überzeugung nicht oder nicht mehr vorhanden, schwindet auch die Bereitschaft, konstruktiv Kritik zu üben oder anzunehmen. Stattdessen kann sich destruktives Kritikverhalten einschleichen – etwa Gängeln, Nörgeln, Schulmeistereien und Versuche, den Partner umzuerziehen oder zu seinem vermeintlichen Glück zu zwingen.

Ist die Liebe zum Partner eingefroren oder erloschen, bedeutet das meist auch das Ende des Respekts und des achtsamen Umgangs miteinander. Paare, die sich bereits mit Trennungsgedanken tragen, erzählen in der Eheberatung oder Paarberatung häufig, dass sie am Partner fast nur noch Negatives und Kritikpunkte sehen. Wie er dasitzt, wie er aussieht, wie er spricht oder wie er seinen Löffel in den Kaffee taucht: Alles scheint falsch, ärgerlich, langweilig oder lästig, und immer lauern Frust und Aggressionen im Hintergrund.

Ob es in einer so verfahrenen Situation überhaupt noch möglich ist, die Ehe zu retten bzw. die Beziehungsprobleme zu lösen, hängt davon ab, welche gemeinsamen Chancen die Partner noch sehen. Eine gemeinsame Zukunftsperspektive kann es selbst in schweren Krisenzeiten geben. Sie lässt sich daran erkennen, dass beide sich vorstellen können, wieder miteinander glücklich zu sein – und dass beide diese Vorstellung nicht nur aus sachlichen Erwägungen, sondern von Herzen attraktiver finden als die einer Trennung oder Scheidung.

So lange es beide Partner für möglich und wünschenswert halten, ihre Beziehungskrise zu meistern und alte wie aktuelle Konflikte gemeinsam zu überwinden, wird der Eheberater oder Paartherapeut alles in seiner Macht Stehende tun, um sie beim Erkennen, Erarbeiten und Beschreiten ihrer individuellen Lösungswege zu unterstützen. Wenn aber einer oder beide nicht nur keinen Ausweg mehr sehen, sondern auch gar kein Interesse mehr daran haben, zusammen einen zu suchen bzw. zu finden, dann wird auch der ambitionierteste Eheberater eher zu einer Trennung oder zumindest einer Trennung auf Zeit raten. 

12 goldene Regeln für Menschen, die durch Kritik etwas voneinander lernen möchten

Liebe macht stark, aber sie macht auch verletzlich. Den Menschen, die wir am meisten lieben und die uns am nächsten stehen, schenken wir unser Vertrauen und öffnen ihnen unser Herz, unsere Gedankenwelt und die vielen Facetten unseres Alltags. Dabei offenbaren wir auch dunklere Seiten, zeigen Schwachstellen und Angriffspunkte und entblößen damit sozusagen unsere Verteidigung. Das ist nicht nur normal, sondern auch wünschenswert – denn ohne Vertrauen, Nähe und Kommunikation kann selbst die heftigste Leidenschaft oder Verliebtheit nicht zu einer stabilen und dauerhaften Beziehung werden.

Dass die meisten Menschen weder mit dem Kritisieren noch mit dem Kritisiertwerden angenehme Gefühle verbinden, ist völlig verständlich. Vor allem gegenüber dem Partner, mit dem ich mein Leben teile, möchte ich mich ja eigentlich nicht verteidigen, verbiegen oder verstellen müssen: Ich will so geliebt und akzeptiert werden, wie ich bin. Im Gegenzug sollte sich natürlich auch mein Partner bei mir weder rechtfertigen noch schützen oder verteidigen müssen. Beide sollten sich in der Partnerschaft sicher und geborgen fühlen – zwei Liebende, die mit dem richtigen Menschen zur rechten Zeit am rechten Ort sind. Dass Liebe und Kritik dennoch untrennbar zusammengehören, liegt daran, dass eben kein Mensch perfekt ist – und dass das jeder weiß, macht es uns auch nicht einfacher.

Die folgenden 12 Regeln können den Umgang mit Kritik in der Partnerschaft erleichtern. Sie gelten nicht nur für Paare oder wenn es darum geht, Beziehungsprobleme zu lösen, sondern lassen sich auf alle Bereiche des Lebens übertagen. Wer sie berücksichtigt, hat mehr von Kritik – egal, ob er kritisiert wird oder selbst Kritik übt.

  1. Kritik muss konkret sein. Ist sie abstrakt, muss sie sich konkretisieren lassen, bevor sie vorgebracht wird.
  2. Zu dem Recht, gehört zu werden und ausreden zu dürfen, gehört auch die Pflicht, sich kurz zu fassen.
  3. Jeder Mensch hat ein Anrecht darauf, dass seine Worte wohlwollend ausgelegt werden.
  4. Wer versucht, einen anderen Menschen zu verstehen, dem soll nicht unterstellt werden, er billige schon allein darum dessen Verhalten.
  5. Jeder sollte im Voraus sagen können (und dürfen), unter welchen Umständen er dazu bereit wäre, sich vom anderen überzeugen zu lassen.
  6. Es sollte nicht um Worte gestritten werden, sondern um die dahinterstehenden Probleme.
  7. Es ist nicht so wichtig, wie man die Worte wählt. Es kommt darauf an, verstanden zu werden.
  8. Es ist nicht so wichtig, jemanden beim Wort zu nehmen. Viel wichtiger ist es, ernst zu nehmen, was der- oder diejenige gesagt hat.
  9. Wer sich gegen Kritik immunisiert, sich dagegen unangreifbar macht oder jede Kritik sofort zurückwirft, ist nicht ernst zu nehmen.
  10. Es gibt einen Unterschied zwischen Kritik, die einen anderen Menschen zu verstehen versucht, und Polemik, die lediglich das Gesagte umdeutet.
  11. Wer lernen und wachsen möchte, darf Kritik nicht ablehnen oder nur aushalten, sondern muss sie suchen.
  12. Auch Kritik, die in böser Absicht oder unberechtigt vorgebracht wird, sollte ernst genommen werden – denn die Entdeckung von Fehlern kann uns immer nur nützlich sein.

Ihre
Ilona von Serényi, Aachen-Oberforstbach

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